Der Weg zur Transformation des Bewusstseins

Potenzialorientierte Psychotherapie und Integrale Lebenspraxis

Der Weg

Grundlegende Situation und Hemmnis für jede spirituelle Lebenspraxis ist der Schatten, der jeden Menschen begleitet und der die Ursache gerade des Leidens ist, von dem sich der Mensch befreien will.  Es sind dies die Identifizierungen (Anhaftungen) mit Rollen (Kämpfer, Opfer, Mann, Frau; Kind, Chef, …) und Konditionierungen (Widerstände) (Wut, Hass, Gier, Konsum im negativen aber auch Liebe, Begeisterung im positiven Sinne). Im Resultat führt das zu einem subtilen Gefühl der Selbstentfremdung, Fremdbestimmung, In-Frage-Stellen des Lebenssinns, der Suche nach spiritueller Ganzheit. Die Grundlage der buddhistischen Lehre geht auf diese Bedingungen des Seins ganz konkret und detailliert ein. In seiner Ratlosigkeit erwartet sich der Mensch Er-Lösung durch Religion, Gurus, Heilige, Psychologen und jede Art von wissenden Autoritäten. Er verbleibt hierbei in einer kindlich regressiven Passivität. In der Kontemplation und Meditation erwartet er ebenfalls Hilfe bei eher wenig Eigenleistung. Wenn er nur lange genug auf dem Meditationskissen sitzen bleibt käme die Lösung von alleine. Aber das wäre zu einfach! Hier ein Versuch, den Weg zur Heilung extrem auf das Wesentliche reduziert zu erfassen. Identifikationen und Konditionierungen (Anhaftungen und Widerstände). Nach E. Fromm ist das Bewusstsein des Menschen das Resultat von Fiktion und Täuschung im positiven wie im negativen Sinne. Was der Mensch zu sein glaubt, kommt nicht aus ihm selbst, sondern wird von außen an ihn heran getragen – vom ersten Augenblick seines Daseins an. Diese Sozialisierung macht Sinn aber auch Probleme, indem sie die Subjekt-Objekt-Spaltung in Gang setzt. In diesem Konformitätsdruck ist der Einzelne gefangen, kann ihn nicht ohne das Risiko gesellschaftlicher Sanktionen aufgeben. Hier greift das ganze Spektrum der entwicklungspsychologischen und psychodynamischen Erklärungsmodelle und der entsprechenden Therapieansätze. Die klassischen Psychotherapien: Analyse und Verhaltenstherapie zielten darauf ab, den "Patienten" (!) wieder gesellschaftskompatibel zu machen – zum Normopathen. Existentielle und Humanistische Psychotherapie stellen den von der Gesellschaft unabhängigen Sinn menschlichen Daseins in den Mittelpunkt und widmen sich damit der spirituellen Seite menschlicher Existenz, die bis dahin von den Religionen und Glaubenssystemen bedient wurde. Identifikationen und Konditionierungen bezeichnet Ken Wilber als den "Schatten", der den Menschen begleitet. Ohne dessen Bearbeitung sei eine spirituelle Lebenspraxis kaum durchzuführen. ("Aus einem Neurotiker, der meditiert, wird bestenfalls ein erleuchteter Neurotiker"). Meditation ohne vorherige und begleitende Arbeit am eigenen Schatten macht vielleicht temporär und wiederholt gute Gefühle, bewirkt aber keine Auflösung der Selbstentfremdung und wahre spirituelle Transformation. Die ICH-Identität (der edle Kern). Nach Maslow ist des Menschen höchstes Ziel die Selbstverwirklichung: Der zu werden, der er wirklich ist, sich von den konditionierten Strukturen und Identifikationen zu lösen, um die Person zu sein, als die er von seinem Wesen her gemeint ist; ihn wissen zu lassen, worum es in seinem Leben geht, dieses Wissen im Alltag umzusetzen und dabei zu einer selbstbewussten, selbstbestimmten und einzigartigen Person zu werden. In der Selbstwahrnehmung verschiebt sich somit das Verhältnis von objektiv definierter Realität zu subjektiv erfahrbarer Wirklichkeit – aus dem Vorhanden-Sein meines Körpers, den ich habe, wird das So-Sein meines Leibes, der ich bin. Die Erfahrung der Selbst-Wirklichkeit im Dasein ist die Voraussetzung für die Bildung einer stabilen ICH-Identität, die sich dem Sein erst zu öffnen vermag. "Um sein ICH transzendieren zu können, muss man erst einmal eins haben". Kränkungen finden immer auf der Ebene der Identifikation statt, aber nie im Bereich der Identität. Das Problem ist nicht die ICH-Struktur, sondern die Identifikation damit – ob wir eine Struktur haben oder ob sie uns hat. Wer sich in seinem Dasein nicht zuhause fühlt, bedarf der permanenten Beachtung und Bestätigung. Transzendierung des Selbst. Selbstranszendenz ist das uns eingegebene Bedürfnis, über uns selbst hinaus zu wachsen, das was Menschsein eigentlich ausmacht; die erlebbare Präsenz einer Wirklichkeit jenseits aller mit den Sinnen und dem Verstand erfassbaren Realität. "Seinsfühlungen" (Dürckheim), "Gipfelerlebnisse" (Maslow) oder "Ozeanische Gefühle" (W. Reich) geben dem Sein eine Ahnung von der Dimension der Unendlichkeit. Es ist die Sehnsucht des Menschen, sich von den Bedingungen des Alltags zu lösen – im tiefen Einverständnis mit allem, so wie es ist. Vielleicht hat man solche Erfahrungen bereits schon gemacht und braucht sich nur daran zu erinnern, wenngleich man diese Augenblicke schwerlich vergessen kann. Diese Wirklichkeit wird als selbstevident erlebt, bedarf keiner Verifizierung und ist auch nicht kommuni-zierbar. Kontemplative Praktiken und Meditation versprechen keine Garantie auf Erwachungsereignisse: Man kann zwanzig Jahre auf dem Kissen sitzen und nichts geschieht; ein anderer bindet sich die Schuhe zu und es passiert einfach! Doch jede spirituelle Lebenspraxis übt eine auf Verwandlung drängende Kraft und fordert zu Entscheidungen auf, das Leben im Alltag danach zu richten. Die konsequente Ausrichtung auf eine andere Wirklichkeit – hinter der Vernunft – führt zu einer Lebensgestaltung, die einen der Möglichkeit zur Erfahrung von "Seinsfühlungen" näher bringen.

Fazit

Es kann nicht darum gehen, sich aus dem Daseins-Zusammenhang gänzlich zu verabschieden in der Meinung, dass sich sonst eine spirituelle Lebenspraxis nicht verwirklichen ließe. Ob Integrale Spiritualität bedeutet, dass diese ins Leben eingebettet ist oder nicht doch das Alltagsleben in diese, mag jeder selbst entscheiden. Im Yoga heißt es, dass wenn das Ziel bekannt ist, jeder Weg richtig ist. Ein Fehler ist es aber mit Sicherheit, zu glauben, sporadisch geübter, körperfixierter Yoga oder gelegentliches Meditieren würden zum Ziel führen. Eine klare Entscheidung für die spirituelle Dimension des Seins ist wohl unabdingbar. Auch ist der beschriebene Weg keine Einbahnstraße, in der das Erreichte ohne Gefahr auf einen Rückfall in die eingefahrenen und als überwunden geglaubten  Muster garantiert ist. Doch wenn man nicht nachlässt, an den Identifikationen und Konditionierungen – am Schatten – zu arbeiten,  entbirgt sich der eigene innere edle Kern eines jeden.  Wie gesagt, es gibt dann immer noch keine Garantie für ein "Erwachen", aber vieles im Leben wird leichter: Befreiung von Leid – das ist Buddhismus, das ist Zen, das ist Yoga – das ist die Spirituelle Lebenspraxis.

Der Schatten

So einsichtig und wünschenswert die geschilderten Ziele auch sind, zeigt doch die Erfahrung eines jeden Tages, dass man auf dem Weg zu einer spirituellen Lebenspraxis immer wieder nicht nur an den äußeren Umständen sonder auch an der eigenen Persönlichkeitsstruktur scheitert. Wir sind nun einmal Gefangene unserer Biographie und Psychodynamik, geprägt von unseren Identifikationen, Konditionierungen, Affekten und den entsprechenden Abwehrmechanismen. Unser Bewusstsein entspricht den Normen unserer Kampf-, Krampf-, Konsum und Konkurrenzgesellschaf; bei gleichzeitiger Suche nach Glück und Frieden. Wie wird man diese Geister wieder los? Die Formulierung der Ziele, wie oben beschrieben greift zu kurz. Ganz banal ausgedrückt: Man kommt nicht daran vorbei, zuerst und immer wieder die eigene seelische Baustelle aufzuräumen. Vielleicht ein Anfang: Befinde ich mich generell in einer Kämpfer-Rolle oder einer Opfer-Rolle? Oder wechsele ich immer wieder von der einen in die andere, je nach Situation? Das ist eine erste Frage, die man sich immer wieder stellen sollte, um sich dann schrittweise, in täglicher Selbsterforschung eine integrale Lebenspraxis (ILP) zu erarbeiten. Je nach Lage der Dinge sollte man sich auch nicht scheuen, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen – es geht doch um sehr viel! Um den Rahmen einer kurz gehaltenen Einführung in die ILP nicht zu sprengen hier einige Buchtipps und Schlüsselwörter:
  • Intergrale Lebenspraxis, Ken Wilber. (Wilber ist es gelungen, eine Synthese der Weltreligionen, Glaubenssysteme und Philosophien aller Kulturen und aller Zeiten herzustellen).
  • Buddhistische Psychotherapie, Matthias Ennenbach. (Das in seiner sehr verständlichen Sprache abgefasste Buch vermittelt einen in sich geschlossenen Überblick über die psychologischen und alltagsrelevanten Aspekte des Buddhismus. Es verzichtet auf den ganzen messianischen Firlefanz, der einen vom Buddhismus eher zurück schrecken lässt. Von den 560 Seiten ist jede einzelne eine Offenbarung).
  • Schlüsselbegriffe für eigene Recherchen: Wolf Büntig – Seinsdimension der potenzialorientierten Psychotherapie – Erich Fromm: Haben oder Sein, ZEN-Buddhismus und Psychoanalyse.

Praxistipps

  • Verinnerlichen der Grundlagen des Buddhismus – wie es in meinem entsprechenden Handout dargestellt ist.
  • "Switchen": In Alltagssituationen immer wieder die Rolle tauschen. Was würde jetzt ein Yogi, ein Buddhist  in dieser Situation tun? Wie würde sich ein Statement eines Politikers oder eines andern Menschen aus meinem Umkreis anhören, wenn er die buddhistischen Grundlagen beherzigen würde.
  • Einen spirituellen Tag in der Woche einplanen; es kann auch nur ein Abend o.Ä. sein; aber es muss vom Herzen kommen. Entsprechende Literatur, Musik, Umgebung – der Phantasie sind keine Grenzen gesetzt.
  • Abendbilanz. Welche meiner Handlungen, Einstellungen, Affekte des vergangenen Tages widersprachen einer spirituellen Einstellung. Was hätte ich in dieser Situation anders machen können.
Quelle: Wolf Büntig, "Die Seinsdimension in der Potentialorientierten Psychotherapie" und was ich sonst noch von E. Fromm und K. Wilber zusammenerinnert habe.
Dieser Beitrag wurde unter unkategorisiert veröffentlicht. Setze ein Lesezeichen auf den Permalink.